UPDATE: Der OGH gibt uns Recht

- Gleiches soll gleich & Ungleiches ungleich behandelt werden -

 

Enthält § 84 Abs 3 Z 4 VBG eine "planwidrige Regelungslücke", die mittels Analogie zu schließen ist?

Und führt dies zur ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Vertragsbediensteten und Angestellten?

 

Der Sachverhalt:

Eine Vertragsbedienstete (ursprünglich vollzeitbeschäftigt) befand sich nach der Geburt ihres Kindes in Karenz (nach dem Mutterschutzgesetz). Nach zwei Jahren Karenz wollte sie wieder arbeiten und hat die Herabsetzung der Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden beantragt. Da gewisse formelle Kriterien in ihrem Antrag nicht enthalten waren, übermittelte ihr ihr Vorgesetzter ein seit vielen Jahren verwendetes Muster mit der Aufforderung, sie möge anhand dieses Musters einen erneuten Antrag stellen. Dieser neue Antrag enthielt nun erweiterte Angaben, u.a. den Zweck der Herabsetzung der Arbeitszeit (Betreuung des Kindes) und die Gesetzesstelle als Grundlage der Arbeitszeitherabsetzung (§ 20 VBG iVm § 50b BDG 1979).

Einige Jahre später (aber vor Schuleintritt des Kindes) kündigte die Vertragsbedienstete ihr Dienstverhältnis und wies darauf hin, dass ihr gemäß § 84 Abs 3 Z 4 VBG die gesetzliche Abfertigung („Abfertigung alt“) zustehe.

Der Arbeitgeber lehnte den Anspruch auf Abfertigung mit der Begründung ab, dass die Herabsetzung der Arbeitszeit gemäß § 20b VBG iVm § 50b BDG 1979 erfolgt sei und dies nicht zu den in § 84 Abs 3 Z 4 VBG angeführten „abfertigungswahrenden Gründen“ zählen würde.  

Wir haben die Abfertigung für die Arbeitnehmerin eingeklagt.

Der rechtliche Hintergrund:

Grundsätzlich besteht ein Abfertigungsanspruch bei Selbstkündigung nicht. Eine Ausnahme regelt § 84 Abs 3 Z 4 VBG: gemäß dieser Bestimmung gebührt eine Abfertigung auch, wenn ein Arbeitnehmer während einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder nach dem Väterkarenzgesetz das Dienstverhältnis kündigt.

In konkreten Fall wurde aber - aufgrund des verwendeten „Musters“ - keine Teilzeitbeschäftigung nach § 15h Mutterschutzgestz, sondern nach § 20 Vertragsbedienstetengesetz 1948 iVm § 50b Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 ausdrücklich vereinbart.

Bisheriges Ergebnis (Stand 9.1.2019):

Das Erstgericht (Arbeits- und Sozialgericht Wien) und die zweite Instanz (Oberlandesgericht Wien) haben unserem Klagebegehren Folge gegeben und ausgeführt, dass „nicht ersichtlich sei, warum die beiden Regelungen abfertigungsrecht unterschiedlich behandelt werden sollten“ und dadurch „eine nicht auf sachliche Kriterien beruhende Ungleichbehandlung der Klägerin“ vorliege. Das Gesetz sei daher ergänzungsbedürftig. Die in § 84 Abs 3 Z 4 VBG normierte Rechtsfolge, dass dem Vertragsbediensteten, der während einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG oder dem VKG das Dienstverhältnis kündigt, eine Abfertigung zusteht, sei im Wege der Gesetzesanalogie auch auf den nach dem Wortlaut nicht geregelten Sachverhalt zu erstrecken, dass ein Vertragsbediensteter während einer Teilzeitbeschäftigung nach § 20 AVB iVm § 50b BDG 1979 das Dienstverhältnis kündigt.

Derzeit beschäftigt sich der Oberste Gerichtshof mit dieser Angelegenheit. Wir sind auf das Ergebnis gespannt.  

Update am 26.6.2019:

Der OGH hat mit Entscheidung vom 15.5.2019 zu 9 ObA 7/19y unsere Ansicht geteilt und die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen bestätigt.

Aus der Begründung:

"Richtig ist, dass § 84 Abs 3 Z 4 VBG 1948 eine abfertigungswahrende Selbstkündigung nur für den Fall einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG oder VKG normiert. Liegt darin aber eine planwidrige Lücke, ist sie mit Hilfe einer Gesetzesanalogie zu schließen.

Bei der Gesetzesanalogie wird die für einen bestimmten Einzeltatbestand angeordnete Rechtsfolge auf einen dem Wortlaut nach nicht geregelten Sachverhalt erstreckt, weil nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung anzunehmen ist, dass der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmen. Die Abweichungen werden als unerheblich gewertet (RS0008845)."

Die Entstehungsgeschichte der gegenständlichen gesetzlichen Bestimmungen stützt die Annahme, dass eine planwidrige Lücke vorliegt. In der Folge wird die Entstehung der Bestimmungen (MSchG, VKG, VBG) dargestellt.

Der OGH weiter: "Weder aus dieser gesetzlichen Entwicklung als solcher noch aus den jeweiligen Gesetzesmaterialien geht hervor, dass die abfertigungswahrende Selbstkündigung in § 84 Abs 3 Z 4 VBG 1948 auf Fälle einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG oder VKG beschränkt sein sollte wohingegen eine Teilzeitbeschäftigung nach § 20 VBG 1948 iVm § 50 BDG bewusst und geplant keinen Abfertigungsanspruch bei Selbstkündigung begründen soll. Die Entstehungsgeschichte spricht vielmehr dafür, dass die Regelung der abfertigungswahrenden Selbstkündigung in § 84 Abs 3 Z 4 VBG 1948 nur deshalb auf das MSchG (VKG) abstellt, weil eine andere Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung nach dem VBG zunächst nicht vorgesehen war und im Zuge der Novellierungen nicht darauf Bedacht genommen wurde, dass auch § 50b Abs 1 Z 1 BDG die Möglichkeit der Herabsetzung der Wochenarbeitszeit zur Betreuung (Pflege) eines eigenen Kindes vorsieht und insofern ein Harmonisierungsbedarf besteht. Das spricht für das Vorliegen einer planwidrigen Lücke.

Objektiv-teleologisch liegt der Zweck der abfertigungswahrenden Selbstkündigung während einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG darin, dem Dienstnehmer die Möglichkeit zu eröffnen, das Dienstverhältnis zugunsten der Kinderbetreuung auflösen zu können, ohne auf die Abfertigung verzichten zu müssen. (...) Diese Erwägungen gelten aber für beide Möglichkeiten der Insanspruchnahme einer solchen Teilzeit.

(...) Da die Möglichkeiten der Inanspruchnahme einer Teilzeitbeschäftigung zur Kinderbetreuung nach dem MSchG (VKG) und § 20 VBG 1948 iVm § 50b BDG in ihrem Kernbereich vielmehr deckungsgleich sind, haben schon die Vorinstanzen zu Recht eine sachliche Rechtfertigung dafür vermisst, warum in einem Fall eine abfertigungswahrende Selbstkündigung möglich sein sollte, im anderen aber nicht.