UPDATE: Radfahrer aufgepasst!

Ist ein Geh- und Radweg als Fahrbahn zu qualifizieren?

Darf ein Fußgänger einen Geh- und Radweg überraschend betreten?

News vom 04.10.2021

Sachverhalt:

Im Frühjahr 2018 ereignete sich auf der unter der Urania gelegenen Wolfgang-Schmitz-Promenade ein Unfall zwischen einem Radfahrer und einer Fußgängerin. 

Die Fußgängerin trat ohne auf den Verkehr auf der Promenade zu achten vom Gehsteig auf die Fahrbahn, sodass es zu einer Kollision mit dem von uns vertretenen Radfahrer kam, der die Kollision trotz sofortiger Einleitung einer Vollbremsung nicht verhindern konnte. Er kam zu Sturz und erlitt einen komplizierten Bruch des Handgelenkes. 

Wir brachten für den Radfahrer Klage beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ein und begehrten Schmerzengeld, den Ersatz von Behandlungskosten, sowie die Feststellung, dass die Versicherung der Beklagten auch für künftig hervorkommende Schäden haftet.

Rechtliche Beurteilung:

Das Bezirksgericht Innere Stadt (1. Instanz) und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (2. Instanz) gaben der Klage jeweils vollinhaltlich statt. 

Die Beklagte wandte sich daraufhin mit der Frage an den OGH (Obersten Gerichtshof), ob ein Fußgänger von einem Gehsteig auf einen Geh- und Radweg treten darf ohne auf den dort befindlichen Verkehr achten zu müssen, ob er also für die dort befindlichen Verkehrsteilnehmer überraschend den Geh- und Radweg betreten darf

Gemäß § 76 Abs 1 StVO dürfen Fußgänger eine Fahrbahn nicht überraschend betreten. 

Unserer Ansicht nach ist auch ein Geh- und Radweg als Fahrbahn zu qualifizieren, da die StVO nur eine Differenzierung zwischen Gehsteig und Fahrbahn vorsieht und gemäß der einschlägigen Judikatur etwa auch ein Parkplatz oder ein Radfahrstreifen ein Teil der Fahrbahn ist.

Der Oberste Gerichtshof hat nun den Akt an das Bezirksgericht für Innere Stadt zurückverwiesen, um weitere Erhebungen zu treffen, sodass beurteilt werden kann, ob an der Unfallstelle ein Geh- und Radweg situiert ist oder eine normale Fahrbahn. Wenn dort kein Geh- und Radweg verläuft, würden wir ohnehin wieder obsiegen, befindet sich dort ein Geh- und Radweg muss der Oberste Gerichtshof die Frage entscheiden, ob man als Fußgänger für den dort befindlichen Verkehr überraschend von einem Gehsteig auf einen Geh- und Radweg treten darf.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hat einen weiteren Verhandlungstermin anberaumt. Die Sache bleibt spannend.

Wir werden wieder berichten.  

Update vom 17.05.2022

Nach neuerlicher Einvernahme des von uns vertretenen Klägers hat das Gericht unserer Klage auch im zweiten Rechtsgang zur Gänze stattgegeben.

Gemäß den ergänzenden Ausführungen des Kfz-Sachverständigen liegt die Unfallstelle nicht auf einem Geh- und Radweg, sondern auf einer Straße, für die eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h und ein Fahrverbot gelten, ausgenommen davon Radfahrer und Liefertätigkeiten zu bestimmten Zeitintervallen. Das Gericht hat basierend auf diesen Ergänzungen der Klage daher neuerlich zur Gänze stattgegeben, da sich der Kläger ordnungsgemäß verhalten hat, die Beklagte aber, obwohl ihr dies vom Gehsteig aus leicht möglich gewesen wäre, ohne auf den Verkehr zu achten auf die Straße getreten ist. 

Die Beklagte hat nun wieder die Möglichkeit Berufung gegen das Urteil zu erheben.