Schubhaft trotz "gelinderer Mittel" und offener Rechtsmittelfrist

Wie in den Medien berichtet, wurde ein 27-jähriger Asylwerber, der seit Oktober 2015 in Österreich ist und mittlerweile Deutsch auf Maturaniveau beherrscht, bestens integriert ist und nie straffällig war, am Freitag, 12.1.2018 Abend von der Polizei festgenommen und über ihn die Schubhaft verhängt. Seither befindet er sich im Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel.

 

Der Gang des bisherigen Verfahrens wird hier kurz zusammengefasst:

 

31.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat unsere außerordentliche Revision zurückgewiesen

Aus der Begründung: 

"Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0482, mwN).

Entgegen den Ausführungen in der Revision ging das BVwG im angefochtenen Erkenntnis auf die persönliche Situation des Revisionswerbers bei seiner Rückkehr nach Afghanistan ein; dabei befasste es sich auch mit der Herkunftsregion des Revisionswerbers und kam - anders als im Revisionsvorbringen dargestellt - zu dem Schluss, dass ihm eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz nicht möglich sei, ihm jedoch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif offenstehe und zumutbar sei. So führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei jung, gesund und im erwerbsfähigen Alter, verfüge über Berufserfahrung als Bauarbeiter und Polizist, spreche Dari und habe die Möglichkeit sich allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG auf dieser Grundlage unvertretbar erfolgt wäre." 

(...)
"Eine einzelfallbezogene Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig oder unzulässig ist, ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/22/0210, mwN). Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG die soziale, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Integration sehr wohl miteinbezogen; ausgehend davon hielt das BVwG fest, der Revisionswerber habe „kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan.“ 

(...)
"In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen."  

29.1.2018

Aref wurde - entgegen aller Vereinbarungen und ohne uns als seine Rechtsvertreter zu informieren - am vergangenen Samstag, 27.Jänner 2018 nach Kabul abgeschoben.

Zur Erinnerung: Die Abschiebung war für den 3.2.2018 geplant, es waren dafür nachweislich Flüge gebucht UND das Verfahren ist noch offen (über den Antrag auf aufschiebende Wirkung hat der VwGH noch nicht entschieden).

In Kabul angekommen erklärte sich weder das Rote Kreuz für ihn zuständig, noch half ihm die Organisation A.M.A.S.O. Afghanistan Migrants Advice & Support Org. Er wurde dort sich selbst überlassen.


24.1.2018

aktuelle Medienberichte: 

Kurier: kurier.at/chronik/oesterreich/abschiebungen-kein-vertrauen-in-rechtsstaat-mehr/307.993.413  

NÖN: http://www.noen.at/bruck/kommentar/menschlichkeit-nicht-vergessen-kommentar-lokal/74.190.248


23.1.2018

Am 18.1.2018 haben wir die a.o. Revision an den Verwaltungsgerichtshof samt Antrag auf aufschiebende Wirkung eingebracht. Die Entscheidung darüber steht noch aus.

Am gestrigen Tag (22.1.2018) hat - unter großem Öffentlichkeits- und Medieninteresse - die Verhandlung beim BVwG über unsere Beschwerde gegen den Bescheid des BFA, mit dem die Schubhaft verhängt wurde (§ 76 FPG), stattgefunden.

Die Richterin hat entschieden, dass die Schubhaft rechtmäßig sei, da Fluchtgefahr vorliege. 

Hier einige Auszüge aus der Begründung (mit Anmerkungen unsererseits): 

Aus der Begründung (wörtliches Zitat):
"Mit Erkenntnis vom 5.9.2017 wurde die Beschwerde in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers (BF) am 8.9.2017 zugestellt. Mit Zustellung des Erkenntnisses erwuchs die Entscheidung des BVwG in Rechtskraft." 

(Anmerkung: Der Instanzenzug sieht Beschwerde- und Revisionsmöglichkeiten an den VfGH und den VwGH vor). 

Weiter wird ausgeführt: 
"Eine Beschwerde gegen das Erkenntnis an den VfGH wurde mit Beschluss des VfGH vom 24.11.2017 abgelehnt (...) und die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung abgetreten. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurde der Entscheidung des BVwG vom 5.9.2017 keine aufschiebende Wirkung zuerkannt."

(Anmerkung: Widerspruch, die Entscheidung ist nach Ansicht der Richterin ohnehin seit 8.9.2017 rechtskräftig).

Weiter aus der Begründung (wörtliches Zitat):
"Bei dem BF handelt es sich um einen jungen intelligenten Mann, der die deutsche Sprache bereits in ausreichendem Maß erlernt hat, weshalb ihm der Umstand, dass er über den Ausgang seines Asylverfahrens nicht ausreichend informiert sei, durchaus zurechenbar ist, hat er doch eigenständig zumindest seinen ersten rechtsfreundlichen Vertreter selbständig gesucht, um sein Asylverfahren zu beschleunigen, was ebenso für das Bestehen von Fluchtgefahr spricht, wenn der BF im Verfahren vermeint, über den Verfahrensausgang seines Asylverfahrens nicht in Kenntnis zu sein."

(Anmerkung: Die Richterin befragt den BF während der ersten beiden Verhandlungsstunden lediglich zum Thema, wann er welche Entscheidung erhalten habe und was deren Inhalt war. Zu den Fragestellungen, zB: 

Richterin: "Wann haben Sie die Entscheidung des BVwG erhalten?"
BF: "Ich kann mich nicht erinnern."
Richterin: "Sie haben nach Einbringung der Beschwerde beim BVwG durch die Diakonie einen RA beauftragt um in Ihrem Beschwerdeverfahren zu urgieren und können sich nunmehr nicht mehr erinnern, wann die Verhandlung vor dem BVwG stattgefunden hat bwz. wann Sie Ihr Erkenntnis erhalten haben?"
BF: "Ich kann es nur ungefähr sagen."
Richterin: "Dann sagen Sie es bitte ungefähr."
BF: "Ich war beim BVwG vor ca. fünf Monaten."
Richterin: "Sagen Sie es bitte mit Monat und Jahr."
BF: "August 2017"
.......
Richterin: "War mit dieser Entscheidung auch verbunden, dass Sie nicht hier in Österreich bleiben können und Sie aus Österreich ausreisen müssen?"
BF: "Nein"
Richterin: "Das war aber der Inhalt beider Entscheidungen. Sie waren anwaltlich vertreten, warum ist Ihnen das nicht zur Kenntnis gelangt?"
BF: "Mein Anwalt hat es mir nicht erklärt."
Richterin: "Warum haben Sie sich nicht dafür interessiert?" 
BF: "Ich dachte, ich hätte noch eine Chance für einen Verhandlungstermin und ich könnte noch einen anderen Anwalt nehmen, der mich vertreten könnte. ......."

Weiter aus der Begründung (wörtliches Zitat):
"Die Verhandlung hat auch ergeben, dass die Behörde eine Rückführung des BF seit Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG kontinuierlich betrieben hat. Der Zeitpunkt der Festnahme bzw. der Inschubhaftnahme kam für den BF daher nicht abrupt."

(Anmerkung: Die Behörde hat die Rückführung betrieben, ohne den BF davon zu informieren, er hat von seinem Abschiebetermin (3.2.2018) erstmals (!) am 18.1.2018, also sechs Tage (!) nach Inschubhaftnahme erfahren.)

Weiter aus der Begründung (wörtliches Zitat):
"Aufgrund der Fluchtgefahr infolge des Vorverhaltens des Beschwerdeführers - wie auch die Verhandlung ergeben hat - kann mit der Verhängung gelinderer Mittel nicht das Auslangen gefunden werden. Der BF ist gesund und haftfähig. Die Schubhaft ist nicht unverhältnismäßig."

(Anmerkung: es wird nicht erläutert, was die Verhandlung ergeben hat, warum Fluchtgefahr besteht und warum nicht mit Verhängung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden kann. Ebenso wird nicht erläutert, auf welches "Vorverhalten" Bezug genommen wird - das soziale Engagement beim Roten Kreuz? Die zufriedenstellende Arbeitsleistung beim Abfallsammelzentrum Jüly? Die Fussballtrainertätigkeit? - Es fehlt die Begründung zur Gänze.)

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Termin zur Abschiebung mit 3.2.2018 fixiert wurde. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt unsere Revision vom VwGH noch nicht behandelt worden sein, wird die Abschiebung planmäßig erfolgen. Sollte unserem Antrag auf aufschiebende Wirkung bis dahin Folge gegeben werden, wird die Abschiebung vorläufig gestoppt. 

Aktueller Stand der Petition: https://www.change.org/p/unser-bruck-hilft-aref-muss-bleiben: 6.500 Unterschriften

Wir halten Sie auf dem Laufenden.  


16.1.2018

Am 25.10.2015 hat Aref einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgelehnt wurde. Dagegen hat er, vertreten durch einen Verfahrenshilfe-Vertreter Beschwerde erhoben und beantragt, ihm internationalen Schutz bzw. subsidiären Schutz zuzuerkennen und darauf hingewiesen, dass auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs 1 AsylG vorliegen. 

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Unter anderem hat es festgestellt, dass eine "allfällige Rückführung des Beschwerdeführers in diese Region (Anm. seine Heimatregion) für diesen mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein könnte, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden kann." Allerdings erscheine eine "Rückkehr nach Afghanistan nicht grundsätzlich ausgeschlossen", es sei ihm zumutbar in anderen Regionen zu wohnen. 

In weiterer Folge für das BVwG aus, dass "der Beschwerdeführer kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan" habe, sodass "die öffentlichen Interessen an seiner Aufenthaltsbeendigung seine privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen" würden. 

Gegen dieses Erkenntnis haben wir eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde gemäß Art. 144 Abs 1 B-VG eingebracht. Der VfGH hat die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Die Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts ist gemäß § 26 Abs 1 Z 1 VwGG daher noch offen. 

Dennoch hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.1.2018 (drei Tage nach seiner Festnahme! und innerhalb der offenen Rechtsmittelfrist) einen Mandatsbescheid erlassen, mit dem die Schubhaft verhängt wurde. Dagegen haben wir mit heutigem Tag eine Beschwerde eingebracht und insbesondere darauf hingewiesen, dass einerseits die Rechtsmittelfrist noch offen sei und überdies die Schubhaft eine "ultima-ratio-Maßnahme“ darstellt und daher zunächst die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG zu prüfen ist. 

Aref hat innerhalb der letzten beiden Jahre Deutschkurse besucht und inzwischen einen B2-Kurs absolviert, er hilft regelmäßig bei der Team-Österreich-Tafel (kostenlose Lebensmittel für bedürftige Österreicher), steht dem Fußballverein Bruck an der Leitha (ASK-BSC) als ehrenamtlicher Betreuer der Kampfmannschaft II und Trainer der Jugend zur Verfügung, hat sich zum Sozialdiensthelfer beim Roten Kreuz ausbilden lassen und hat sich selbst einen Job gesucht (den kaum ein Österreicher machen will), er arbeitet seit Mai 2016 zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers im Rahmen einer Remunerantentätigkeit zwei Tage pro Woche. Darüber hinaus hat er zwei konkrete Angebote für 40h-Jobs und würde sofort angestellt werden, wenn er arbeiten dürfte, er würde Beiträge zum Sozialsystem leisten und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge leisten. 

Dass er tatsächlich bereits viele Kontakte und Freundschaften knüpfen konnte und von den Mitbürgern sehr geschätzt wird, zeigt auch die Tatsache, dass sich bereits über 5.000 Personen für ihn engagiert haben: https://www.change.org/p/unser-bruck-hilft-aref-muss-bleiben

Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen (§ 76 Abs 1 FPG) können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Gemäß Abs 2 darf die Schubhaft nur angeordnet werden, dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. 

Weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit sind gegeben, daher haben wir gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben. Die Entscheidung steht noch aus. 

weitere Medienberichte: 

NÖN: http://www.noen.at/bruck/unser-bruck-von-polizei-abgeholt-helfer-kaempfenfuer-aref-sarwari-abschiebung-aref-sarwari/73.901.195

Kronen Zeitung: http://www.krone.at/606143